Alles schon gesehen
Die Urlaubszeit steht vor der Tür. Ok, meine ist mit einer Woche auf Sylt Ende Juni schon abgegolten. Ich habe den Sommer über viel zu tun. Was mich nicht daran hindert, mir von bevorstehenden Reisen erzählen zu lassen oder ein bisschen watteweichen Tagträumen nachzuhängen. Hach, was wäre es jetzt magnifique, in der Provence zu sein und an dicken Lavendelsträuchern zu schnuppern, statt nur auf der Terrasse meinen dank Regen üppig gewachsenen Lavendel zu bewundern. Oder nochmal direkt an die raue Nordsee zu fahren. Tut sooo gut.
Als ich mit meiner Mutter telefoniere, ist Urlaub auch das Topthema. Der Sohn ihrer Zimmernachbarin fährt nach Italien an die Adriaküste. Schon schwelgt meine Mama in Erinnerungen. „Rimini ist ja so ein toller Ort, da kenne ich mich richtig gut aus. Und diese tolle Pizzeria, wo wir waren, einfach wundervoll.“ Der Besuch von Rimini ist ungefähr 50 Jahre her und war nur für einen Tag. Denn ich fuhr mit meinen Eltern jahrelang in die Betonwüste von Lido di Jesolo. Als ich ihr erzähle, dass eine Freundin gerade in Miami ist, unterbricht sie mich prompt: „Ja, Miami, da bin ich ja mit deinem Vater auch gewesen, das kenne ich alles wie meine Westentasche. Diese hübsch getünchten Häuser und die Leute waren so nett. Und weißt du noch, dass ich ins Krankenhaus musste, weil ich aus dem Bett gefallen bin …“ Gegen das Geplappere komme ich kaum an. Ich weiß nur, der Aufenthalt in Florida liegt schon sehr lange zurück, denn mein Papa ist vor 24 Jahren gestorben. Aber egal. Meine Mutter kennt sich für alle Ewigkeit top aus.
Natürlich auch in Frankreich. Besonders Paris. Dort hatten meine Eltern mit mir als 14-Jähriger und der Austauschfamilie, in der ich Französisch lernen sollte, tatsächlich einen ganzen Tag verbracht. „Also wenn ich jetzt nach Paris fahren würde, ich würde mich sofort zurechtfinden. Notre-Dame, Eiffelturm und diese Kirche da auf dem Berg, ich könnte dir alles zeigen.“ Ich wende ein, dass ich bestimmt in meinem Leben über zehn Mal in Paris war, auch für längere Aufenthalte. „Ach was, du hast keine Ahnung. Ich kenne mich dort viel besser aus.“ Klar, Mama.
Ich träume schon lange davon, mal nach Norwegen zu fahren. „Ja, da war ich auch schon, ist sehr schön, viel Natur, bunte Häuschen, das war’s aber auch.“ Gemeint ist von ihr eine einwöchige Schiffsfahrt von Hamburg Richtung Norwegen mit einem kurzen Aufenthalt in Bergen. Aber sie hat natürlich den totalen Durchblick.
Auch Sylt, wo sie zuletzt vor circa 30 Jahren war, gehen wir nochmal im Detail durch. Wie stark sich Westerland verändert hat, wo meine Eltern immer eine Ferienwohnung gemietet hatten, interessiert meine Mama kaum. „Was soll sich da schon verändert haben? Meer ist Meer und Strand ist Strand.“ Logo Mama. Ich verstumme und höre mir an, wo meine Eltern vor Jahrzehnten das beste Eis der Insel gegessen haben. Doch als ich auflege, überkommt mich dennoch schon wieder die große Sehnsucht nach Wind, Möwen und diesem speziellen Geruch auf den Nordseeinsel. Juist steht schon länger auf meiner Bucket-List. Aber davon erzähle ich meiner Mutter lieber nichts. Sie war garantiert schon da und hat einfach alles schon gesehen …
Ingeborg Trampe
Die Fachfrau für PR ist durch ihre Arbeit rund um Hamburgs Kunst, Kultur und Genüsslichkeiten immer eine gute Adresse auf die Frage, where to go. Alle 14 Tage beschreibt sie für uns „what to avoid“, was es zu meiden gilt. Ihre Mutter.