Buchvorstellung: „Das neue Herz“
Worum geht es?
Eine schwedische Kolumnistin, die dank eines Aufenthaltsstipendiums in Madrid weilen darf und sich nun mit Mitte Vierzig fragt: Bin ich überhaupt Autorin, kann ich schreiben – und wenn ja, was? Sie trifft auf einen Mann, der ihr ein ungewöhnliches Angebot macht: „Sie lassen mich ein paar Tage bei sich wohnen. Und im Gegenzug erzähle ich Ihnen von der Frau, die mein Leben ruiniert hat. Nennen wir sie die Feministin. Bestimmt ist das eine spannende Geschichte für jemanden wie Sie.“ Damit nimmt der Roman einen unerwarteten Verlauf und es bleibt nicht bei der Geschichte dieser Frau und des Mannes. Eine Ordensschwester und ihre Lebensgeschichte spielen ebenfalls eine tragende Rolle.
Was kann es?
„Das neue Herz“ ist so überraschend wie genial und lustig. Und böse. Gespickt mit dunklem skandinavischen Humor, lässt es den Kopf schütteln, laut auflachen und auch ab und an die Luft anhalten. Eine literarische Überraschungstüte, die schrille Unterhaltung bietet und ganz ernst, fast nebenbei, Fragen aufwirft wie: Würde ich so weit gehen, würde ich das für andere Menschen tun?
Warum sollte mich das interessieren?
Weil es erfrischend ist, wie Lina Wolff mit den Themen Liebe, Partnerschaft und Egoismus in Zeiten von gesellschaftlich schlechtem Umgangston und nach #MeToo umgeht. Die Rache der betrogenen und erniedrigten Frauen wird in einer obskuren Online-Show wahrhaftig durchgespielt, bei der besagte Nonne das letzte Wort hat.
Leid wird aufgezeigt ohne Würgereiz und Selbstmitleid. Die Frauen im Buch werden erniedrigt, doch sie wissen sich zu helfen – auch gegenseitig. Der Mann kommt nicht gut weg, auch wenn er das gebrochene Herz seiner Frau retten will. Es geht um Verführung und Sinnsuche, ganz schlicht und geradeaus, ohne Romanzen-Geplänkel. Und all dies so witzig wie wahnsinnig mit Figuren unseres Alters – herrlich! Ich hoffe sehr auf eine Verfilmung durch eine skandinavische Filmproduktion mit einem Drehbuch geschrieben von Lina Wolff …
Warum ist die Autorin interessant?
Lina Wolff, geboren 1973 in Schweden, lebte einige Jahre im Ausland und begann dort zu schreiben. Ihre beiden ersten Romane wurden mit schwedischen Literaturpreisen ausgezeichnet und auch „Das neue Herz“ wurde bei Erscheinen 2020 mit einem Preis gewürdigt und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Kostprobe
Johnny scheint zu den Männern zu gehören, die sexuelle Phantasien in einem auslösen, obwohl man im richtigen Leben nichts mit ihnen anzufangen wüsste. Wie ein wuchtiges, grünes Möbel, das einem im Geschäft gefällt, aber zu Hause bloß scheußlich aussieht. Um bei dem Vergleich zu bleiben: Sie hat in ihrem Leben nur ein einziges beständiges Möbelstück besessen. Martin, ihren Exmann aus Bjuv, der wie ein Sprossenstuhl von Ikea war. Er hatte nichts Außergewöhnliches und überraschte sie nie mit Einladungen in Nobelrestaurants oder teuren Dessous, wie ihre Freundinnen sie manchmal bekamen. Andererseits wusste sie immer, woran sie bei ihm war. Wenn sie abends nach Hause kam, stand der Sprossenstuhl Gewehr bei Fuß, und sie konnte sich hinsetzen, ohne sich vorher aufhübschen zu müssen, weil der Stuhl sich ebenso wenig Mühe gab.
Lina Wolff: „Das neue Herz“, Hoffmann und Campe, 270 Seiten, 24 Euro
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Rezension: Simone Glöckler