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Palais F*luxx

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F*luxx Fotoreihe I Frauen im Wald

Ein Pilz wächst aus dem Po, eine weibliche Brust ragt aus großen Blättern hervor, ein Penis lugt hinter einem moosbewachsenen Stein heraus – mit ihrer Performance „Frauen im Wald“ haben Justyna Koeke und Mimosa Pale ein neues Bild erotischer Darstellungen von Frauen in der Natur geschaffen. Im Interview lest Ihr, wie es dazu gekommen ist und was Tinder damit zu tun hat.

Wir feiern den beginnenden Herbst mit sechs Bildern ihrer Performance – jeden Montag ein neues erotisches Natur-Motiv.
Eine Freude!

Die Künstlerinnen Justyna Koeke (rechts) und Mimosa Pale haben ihr Projekt zufällig begonnen – als sie beim gemeinsamen Urlaub in Mimosas Heimat durch den Wald spazierten. Fotocredit: Frauen im Wald, Justyna Koeke und Mimosa Pale

Ich muss immer noch lachen, wenn ich mir Eure Fotos ansehe. Wie seid Ihr bitte auf diese Idee gekommen?
Mimosa: Justyna und ich haben 2021 in Finnland Ferien gemacht. Meine Familie hat dort ein kleines Haus, es war Sommer, wir hatten Zeit. Und wenn Künstlerinnen denken, sie machen Urlaub, dann entstehen jede Menge Ideen. Wir waren im Wald und haben angefangen zu fantasieren. Zwischen uns entwickelte sich automatisch ein spielerischer Prozess.

Das heißt, Ihr wart im Wald, habt Euch ausgezogen und dann wahlweise mit Pilzen oder Ästen gespielt?
Mimosa: Soweit ich mich erinnere, waren wir sowieso schon halb nackt. Wir waren in der Sauna, dann im See schwimmen …
Justyna: Es ist wichtig, dass man das Finnische berücksichtigt. Der Umgang mit dem nackten Körper in Finnland ist ein komplett anderer als in Deutschland. Da ist Nacktsein im Wald oder sonst wo nichts Besonderes. Und die Menschen sind mit dem Wald viel mehr verbunden.
Mimosa: Ja, der Wald bedeutet Nahrung. Er ist eine Quelle an Beeren, Pilzen, man kann Holz schlagen oder jagen.
Justyna: In Deutschland ist der Wald eher düster, gefährlich, das Böse lauert, es gibt Hexen.
Mimosa: In Finnland hat der Wald diese gefährliche Bedeutung gar nicht; er hat etwas Zauberhaftes und Praktisches.
Justyna: Wir haben damals noch gar nicht an ein Projekt gedacht. Erst, als wir uns überlegten, dass die Situationen, die wir schufen, fotografiert werden sollten, wurde daraus etwas Größeres.



Ihr habt Euch dafür Männer über die Dating-App Tinder gesucht …
Justyna: Genau. Wir brauchten nicht nur jemanden, der die Szenen fotografierte. Sondern wir wollten auch, dass die Männer die erotischen Szenen im Wald mitentwickelten. Wir haben dann auf Tinder eine Anzeige aufgegeben und geschrieben, dass wir Künstlerinnen sind und Menschen für eine performative Fotosession im Wald suchen.

Warum habt Ihr keine Frauen angesprochen?
Mimosa: Das haben wir, aber nicht explizit. Es haben sich nicht so viele Frauen gemeldet wie Männer, was wahrscheinlich am Algorithmus lag. Leider haben sich aus den Chats keine Dates mit ihnen ergeben.

Wie ging es weiter?
Justyna: Wir haben also mit den Dates gechattet, ihnen das Projekt erklärt und uns digital erstmal persönlich angenähert. Danach haben wir jeden Mann einzeln physisch zum ersten Mal im Wald getroffen. Ich trug dabei nichts außer einem großen Wollpullover und Mimosa einen rosafarbenen glänzenden Morgenmantel und eine Kettensäge.



Halbnackt und mit einer Kettensäge? Wie haben die Männer darauf reagiert?
Mimosa: Unterschiedlich, aber keiner ist davongelaufen. Einer hat hinterher zugegeben, dass er am Anfang etwas Angst hatte, und ein anderer hat uns tatsächlich seinen Fluchtplan erzählt. Aber viele haben gelacht und mit den meisten Dates hatten wir ein witziges Abenteuer. Wir haben uns nämlich auch sehr bemüht, dass das Gespräch interessant bleibt und dass es wirklich ein Austausch mit einem unbekannten Menschen wird. Nur halt dann mit der Mission, zusammen eine Szene zu kreieren und davon ein Foto zu machen.

Wie kam es eigentlich dazu, dass die Naturaufnahmen gleich so erotisch geworden sind?
Justyna: Uns ging es von Anfang an darum, eine Art Date-Atmosphäre zu schaffen. Und mit Tinder hast Du ja auch schon gleich einen sexuellen Kontext. Das ist ein wichtiger Aspekt. Wir waren zwei Frauen, die ihre Dates in den Wald einluden. Wenn man die Situation umdreht, sieht man die ganze Ungerechtigkeit.

Für uns ist das ein ikonisches Bild: Frau und Mann, dazwischen ein riesiger Felsen.

Wie meinst Du das, Ungerechtigkeit den Männern gegenüber?
Justyna: Ich meine nicht Ungerechtigkeit, sorry. Was ich meine ist, dass wir abhängig vom Geschlecht die Geschichte anders lesen. Wenn zwei Frauen über ein Profil Männer in den Wald einladen, für ein sexuelles oder romantisches Abenteuer, wird das als ein Akt der Emanzipation oder der Selbstermächtigung gelesen. Wenn zwei Männer das täten, würde die Aktion wahrscheinlich als pervers und kriminell abgetan. 

Da gebe ich Dir Recht. Aber wir leben in patriarchalen Systemen und dazu gehört, dass es Männern um Macht geht.
Mimosa: Aber es ist doch trotzdem interessant, dass wir uns so eine Einladung erlauben können, nur weil wir Frauen sind. Vielleicht, weil wir nicht gefährlich sind oder etwas ganz anderes anbieten? Auch das ist eine stereotype Annahme, die wir aufbrechen wollten. Wichtig war uns aber auch, zu zeigen, auf welche Weise sich Frauen erotisch darstellen möchten. Dieser Blick ist ja dominiert von dem, was sich Männer wünschen.

Inwiefern spiegelt sich der Blick von Männern, die Ihr getroffen habt, dann doch in Euren Motiven?
Mimosa: Nun, wir haben vor den Posen immer mit den Männern über erotische Fantasien gesprochen und uns mit den gegenseitigen Vorstellungen auseinandergesetzt. Da war zum Beispiel ein Typ, der hatte die Fantasie, seinen Penis in ein Loch in einen Felsen zu stecken und ihn zu penetrieren, während ich oben breitbeinig auf dem Stein sitze. Für uns ist das ein ikonisches Bild: Ein Mann und eine Frau, dazwischen ein riesiger Felsen. 

Das heißt, es funktioniert nicht?
Justyna: Genau. Männer und Frauen haben unterschiedliche sexuelle Fantasien, der Mann hat versteinerte Vorstellungen. Wir leben in schwierigen Zeiten.

Auch wenn die Zeiten schwierig sind – die meisten Eurer Fotos sind sehr frei und auch unglaublich lustig!
Mimosa: Ja, das war uns auch total wichtig! In der erotischen Fotografie werden Frauen immer ästhetisch schön, romantisch verklärt dargestellt, sie liegen verzückt im Gras und so weiter.
Justyna: Oder es wird sofort super explizit und pornografisch.
Mimosa: Und wir glauben nicht, dass Frauen sich so ernst nehmen. Sie haben Humor, sind witzig und spielerisch. Das wird aber nicht gezeigt.

Mimosa Pale baut im finnischen Joutsa Skulpturen aus Eis auf Eis. © Ilona Valkonen, 2023

Die finnische Bildhauerin Mimosa Pale lebt mittlerweile wieder in Finnland. Dort arbeitet sie unter anderem in kommunalen künstlerischen Projekten und bildet mit Ilona Valkonen und Niina Lehtonen-Braun  die Künstlerinnen-Kollektive „Artemisia vulgaris“. Zuletzt wurden ihre Arbeiten im Haus der kinetischen Kunst (KITA) in Joutsa gezeigt. Hier geht’s zur Webseite von Mimosa Pale und hier zu ihren Instagram-Accounts @mimosapale und @artemisiavulgaris

Justyna Koeke spielt seit 2013 Bass in der Akademischen Betriebskapelle; hier in einem von ihr entworfenen Kostüm. © Justyna Koeke Website

Die polnische Künstlerin Justyna Koeke lebt und arbeitet in Ludwigsburg und Stuttgart. Ihre performativen Arbeiten verlassen die Komfortzone des geschulten und gezähmten Kunstpublikums und erzeugen unmittelbare und intime Momente. Mit ihrer Performance „Blumen-Gymnastik“ zum Beispiel erweitert Justyna Koeke sinnlich und ironisch den Blick auf den Fitnesswahn und führt ihn in die Groteske. Zuletzt war sie in der Atacama Wüste in Chile und hat aus Müll Wegweiser oder Wüstenblumen gebaut. Diese Arbeit führt sie aktuell im öffentlichen Raum in Deutschland fort. Hier geht es zur Webseite von Justyna Koeke und hier zu ihrem Instagram-Account @koekejustyna

Zur Fotoreihe laden wir interessante Fotografinnen und Künstlerinnen ein, die ihre Arbeiten fotografisch dokumentieren. Das Interview führte Anette Frisch.

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