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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Toll genug

Silke Burmester hat im Laufe der Jahre wichtige Positionen ausgewechselt. Nur der Zahnarzt durfte bleiben

Der verlässlichste Mann in meinem Leben ist mein Zahnarzt. Seit über 30 Jahren gehe ich zu ihm. Ich glaube, es gibt wirklich keinen anderen Mann, den ich regelmäßig aufsuche oder demgegenüber ich ein Anliegen habe, und den ich nicht zwischenzeitig durch einen anderen ersetzt habe. Hausarzt, Friseur, Partner, Vermieter, Versicherungsmann, bester Freund, Steuerberater – alle irgendwann ausgetauscht.

Nach 25 Jahren fällt ihm ein, einen Fleck wegmachen zu wollen

Als es losging, waren wir beide in den Zwanzigern, dann haben wir Kinder bekommen, meines hat er behandelt, seine stehen als Foto im Behandlungsraum, jetzt können wir das eigene Altern am anderen ablesen. Er ist glaube ich, ein Jahr älter als ich, aber sein Gesicht ist immer noch das von vor 15 Jahren. Anders die Haut am Hals, immerhin.
Heute hat er mich gefragt, ob der Fleck am Eckzahn mich eigentlich störe, er könne ihn wegmachen und ich konnte antworten: „Ich hatte Sie vor 20 Jahren gefragt, ob man den nicht entfernen könnte, und Sie sahen keine Notwendigkeit.“ Es war ein Gefühl, als säße ich in einer Zeitmaschine. Was für ein Knaller, mal so eben auf einen Wunsch von vor 20 Jahren zurückkommen zu können. Und was für ein schräger Umstand, dass er jetzt tätig werden möchte, wo ich den Fleck doch zuverlässig seit 25 Jahren zu ihm trage.

Noch immer freut er sich, über einen Text, in dem er vorkommt

Ich habe vor elf Jahren einen Text geschrieben, in dem mein Zahnarzt vorkommt. Sylvia Heinlein, die für Palais F*luxx die Kolumne „Na fein!“ schreibt, hatte das Magazin „Toll“ entwickelt, eine Zeitschrift, die aus einer Schreibwerkstatt mit Menschen mit Behinderung entstanden ist. Ich sollte die Kolumne „Report vom Rand“ beisteuern.
Noch immer spricht mein Zahnarzt mich auf den Artikel an und sagt, wie sehr der ihm gefallen habe. So auch heute. Nach dem Fleckenwegmachen. Und ja, er hat Recht. Der Text ist wirklich schön. Und weil er das ist und mein Zahnarzt sich so freut, dass er Gegenstand der Berichterstattung ist – kann man ja verstehen, da bohrt man immer blöd rum, keiner kommt wirklich gern zu einem und vor allem: Keiner versteht die Begeisterung, von der Zahnärzt*innen ob der Herausforderungen erfüllt sind – stelle ich ihn hier noch einmal ein.  
Mit bestem Dank für 30 Jahre ambivalentes Miteinander.

Kolumne „Report vom Rand“ für das Magazin „Toll“

Ich wäre gern auch „toll“. Toll im Sinne von super. Klasse. Prima. Monstergeil. Meistens bin ich nur so „na ja“. Mein Sohn sagt, ich mecker zu viel herum. Meine Freundin, mit der ich zusammenlebe, sagt das leider auch und mich stört, dass ich einfach keine Ordnung halten kann. Bei uns sieht es aus wie Sau. Was tatsächlich meine Schuld ist, weil überall mein Zeug rumfliegt. Ich versuche dann einfach, den anderen die Schuld dafür zu geben und sage: „Räumt doch mal Euren Kram weg!“, aber wie Ihr seht, funktioniert das nicht. Die sind ja nicht blöd.
Natürlich finde ich, dass ich manchmal Dinge ganz schön toll tue. Zum Beispiel, wenn ich meinem Sohn, der schon 13 ist, zum Geburtstag Konzertkarten schenke, obwohl das Konzert mitten in der Woche liegt und er am nächsten Tag Schule hat. Das finde ich echt super und dann finde ich mich viel toller als all die anderen Mütter, die ihren Kindern Klaviernoten zum Geburtstag schenken oder Unterhosen.

Wäre ich richtig toll, ich sähe aus wie Angelina Jolie in blond

Gern wäre ich so richtig toll. Nicht nur, dass ich dann aussehen würde wie Angelina Jolie in Blond, ich würde dann auch Dinge tun, die jeder normale Mensch tun würde, wäre er nicht durch seine Erziehung total verdorben worden. Zum Beispiel würde ich in der U-Bahn laut „Hallo!“ sagen, wenn ich in die U-Bahn einsteige. Da sind ja schließlich andere Leute und wir wollen ein Stück zusammen fahren. Ich fände das ganz normal. Aber in der U-Bahn spricht keiner. Jedenfalls nicht mit Leuten, die er nicht kennt. Und beim Arzt im Wartezimmer reden alle so leise, als würden in der Ecke die Mäuse ein Gedicht aufsagen.

Geräuschevermeidungswettbewerb im Wartezimmer

Mein Zahnarzt, der übrigens fast so toll ist wie Angelina Jolie, hat seine Praxis nah an einer Behindertenwerkstätte in Hamburg. Oft kommen Leute aus den Werkstätten dorthin. Neulich saßen wir Normalos wieder stocksteif im Wartezimmer, als ginge es darum, einen Wettbewerb im Geräuschevermeiden zu gewinnen, da kommt ein Mann mit Down-Syndrom herein. „Hallo!“ ruft er in den Raum. „Habt Ihr einen guten Tag?“
Natürlich sind die blöden Klemmbutzen zusammengezuckt und haben sich kaum getraut, etwas zu sagen. Aber ich habe mir gedacht: Super, endlich mal einer, der so ist, wie ich gern wäre! Völlig normal. Und toll. Ich habe dann sehr laut gesagt, dass ich einen super Tag hätte, bis auf den Zahnarztbesuch natürlich. Wir haben uns dann schön laut und deutlich, quer durch den Raum über Doktor Hoffmann unterhalten und ich muss sagen, mir hat das sehr gutgetan. Ich glaube, ich werde langsam toll.

Silke Burmester

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