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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Mission Farm 49 | 2

Wir schreiben das Jahr 2119 und begleiten zwei Terraläuferinnen im besten F*luxx-Alter auf einer Routinemission auf die Erde – die sich jedoch als kniffliger herausstellt als gedacht.
Eine fantastische Erzählung von Jana Paradigi in fünf Folgen.



Erdoberfläche, 17.Mai 2113
Als ich die Augen aufschlug, sah ich, wie Valdis den zweiten Gamer aus der Stasiskapsel zog. Er blutete. Warum blutete er?
Mit zittrigen Fingern drückte ich den Knopf für die Sicherheitsentriegelung, um mich selbst zu befreien. Die Schwerkraft der Erde zerrte an mir, wie ein Dämon, der mich in ein bodenloses Nichts reißen wollte.
„Statusbericht“, forderte ich die AI durch zusammengebissene Zähne auf und sah mich nach Tikki um. Ihre Kapsel war leer. Kein Blut. Ein gutes Zeichen.
„Systemcheck läuft“, meldete die künstliche Intelligenz mit leicht knisternder Stimme.
„Landekoordinaten?“
„GPS-Daten nicht verfügbar. Triangulation der Kursabweichung läuft.“
„Berechnungsdauer?“
„Unbekannt.“
Ich rieb mir über das Gesicht und trat vor die geöffnete Ausstiegsluke. Immerhin schien die Fähre eine halbwegs geordnete Landung hinbekommen zu haben. Allerdings war das auf keinen Fall das Ankunftsareal von FARM 49 und wahrscheinlich nicht einmal das gleiche Grenzland. Die Umgebung sah viel zu karg und hügelig aus.
Ich suchte nach Kommunikationsmasten, nach Rapportdrohnen oder sonst einem Zeichen, dass dieses Gebiet zu einem der anderen FARM-Sektoren gehörte. Vielleicht zu einer Mine. Doch da war nichts. Kein Hinweis auf autonome Bewirtschaftung oder sonst eine Post-Mars-Kultivierung.
Valdis trat an meine Seite und blickte mit zusammengekniffenen Augen gen Himmel. Wenn sich dort oben weitere Katastrophen abspielten, verdeckte die Wolkendecke es.
„Was ist mit deinem Kollegen? Hat er sich bei der Aktion vor Schreck auf die Zunge gebissen?“, fragte ich und hob bemüht einen Mundwinkel.
Sein Blick blieb auf das trübe Weiß geheftet, während er den Kopf schüttelte. „Ich bin kein Medic, aber für mich sieht’s nach geplatztem Blutgerinnsel im Kopf aus.“
„Dann ist er …?“, setzte ich an.
„Ja. Und was ist Tikkis Ausrede? Ist sie kotzen oder pissen gegangen?“ Sein Tonfall klang so scharf und gleichzeitig angewidert, dass ich die Brauen hob. Offenbar waren Körperfunktionen zu viel Realität für einen Kerl, der den Großteil des Lebens in Datennetzen verbrachte.
Vielleicht brauchte er auch nur ein Ventil, um den Tod seines Kollegen zu verarbeiten. Beides war okay. Besser, als die Gefühle in sich hinein zu fressen. Das endete für gewöhnlich ungut. Das wusste ich aus Erfahrung. So oder so, er hatte recht. Tikki war nicht hier. Wo also war sie?
Nachdem ich eine Weile lang erfolglos die Umgebung abgesucht hatte, musste ich mich langsam mit unserer misslichen Lage auseinandersetzen. Die Fähre schien soweit intakt, die AI allerdings nicht. Wir wussten weder wo wir waren noch ob es neben der angeschlagenen AI weitere verdeckte Defekte gab.
Was uns blieb, war eine ältere Karte von FARM Sektor 49 und dem grenznahen Umland. Doch nichts darauf ließ auf ein Gebiet schließen, das dieser Steinwüste entsprach.
Valdis versuchte es mit einem Neustart der Systeme und lokalisierte nach einigen weiteren Versuchen das eigentliche Problem. Die Inwandtechnik der Klimaanlage war ausgefallen und hatte eine Überhitzung der Computerhardware verursacht. Daher das zeitweise Zischen.
Keiner von uns sprach mehr als nötig, während wir gemeinsam nach einer Lösung suchten. Ganz besonders nicht über den Toten, der mittlerweile in der Kühlabteilung des Frachtraums lag. Nicht, weil es uns egal war, sondern weil wir funktionieren mussten. Die Frage war nur, wie lange das gut gehen konnte. Was mich sehr wohl beschäftigte, war Tikkis Verschwinden.
Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, sich einfach davonzumachen. Wir hatten schon oft in Krisensituationen gesteckt und sie hatte sich einer Bedrohung immer gestellt. Genau wie ich. Sie kämpfte, auch wenn die Niederlage sicher schien. Irgendetwas musste passiert sein. Etwas, das Valdis und ich verpasst hatten. Oder aber etwas, das Valdis mir verschwieg.
Doch obwohl mein Verstand mir dazu riet, brachte ich nicht den Mut auf, im Frachtraum nachzusehen, ob dort womöglich eine zweite Leiche lag. Und im Grunde war es auch egal. Ich hatte als Terraläuferin einen Auftrag zu erfüllen und dafür mussten wir die Fähre wieder in die Luft bekommen. Das allein zählte.
„Wie sieht‘s aus? Weiß die AI wieder, wie man die Kiste fliegt?“, fragte ich Valdis.
Der Gamer kniete auf dem Boden und tippte in der Luft herum. Wie alle Gamer trug er allerlei eingebaute Hardware im Körper, die mit der Schiffstechnik verbunden war.
„Der Systemcheck bringt keine Ergebnisse. Die Resultate der manuellen Tests sehen soweit gut aus“, antwortete er ohne aufzusehen. Sein Blick war in die Zahleneingeweide der Fähre versunken. Und er sah nicht glücklich aus.
„Aber?“, hakte ich nach.
„Die Schrottparty im Orbit hat nicht nur für den Absturz gesorgt. Das Sky-Link-Netzwerk ist zerstört, wie auch jedes andere. Oder zumindest so irreparabel beschädigt, dass keinerlei Daten mehr abrufbar sind. Egal ob GPS oder sonst etwas.“
Im ersten Moment klang das einleuchtend. Im Zweiten nicht mehr. „Seit wann sind wir auf diese alten Systeme angewiesen?“
„Seit unsere Flugschüssel wegen Überhitzung an Gedächtnisverlust leidet“, kam die Antwort in typischer Gamer-Manier.
Ich starrte auf ihn hinab und versuchte es zu verstehen. Doch entweder litt ich an vorschreitender Demenz oder das ergab immer noch keinen Sinn. „Was heißt das im Klartext?“, fragte ich schließlich, obwohl ich es hasste, wie ein dummes Püppchen zu klingen.
„Das Kern-Modul für die Steuerung ist hinüber. Wenn wir hier wieder weg wollen, brauchen wir Ersatz.“
Das klang übel. „Und den bekommen wir nur in einer der Farm-Anlagen, nehme ich an?“
„Exakt.“
„Was ist mit einem Backup? Es muss doch Sicherheitsvorkehrungen für so einen Fall geben“, bohrte ich nach. Doch natürlich hatte Valdis das alles bereits geprüft und zu nutzen versucht.
Wir saßen mit der Fähre also vorläufig auf dem Boden fest und mussten uns notgedrungen zu Fuß bis zur nächstgelegenen Farmstation durchschlagen. Ohne Proviant. Denn mehr als ein paar Stunden Aufenthalt im Wachzustand waren bei diesen Missionen normalerweise nicht vorgesehen. Für die Lande- und Startphase gab es ein paar Proteinriegel und Wasser an Bord. Aber keine Überlebensrationen oder gar ein Zelt für einen Ausflug in die Wildnis.
Unser Waffenarsenal beschränkte sich auf Elektroschocker und eine etwas ältere Glock 2099, um sich bei möglichen Tierangriffen verteidigen zu können.
Ich bestand darauf, Tikkis Ausrüstung in der Fähre und die Einstiegsluke unverschlossen zu lassen, falls meine Freundin den Weg zurück zu uns finden sollte. Dann brachen wir auf. Mit einer alten Karte aus Valdis‘ persönlichem Datenspeicher und der digitalen Version eines Kompasses im Gepäck.

Folge 3 findet ihr unten!


Jana Paradigi gehört zum Palais F*luxx-Kollektiv und schreibt seit einigen Jahren Fantasyliteratur. Wir dürfen mit der Genehmigung des Verlags diese Erzählung aus der Anthologie „Facetten der Zukunft“ (Erscheinungstermin 1. Oktober 2022) veröffentlichen. Vielen Dank dafür!

Bild: ©NovelArc

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